Die Eisenbahn, wie der Name bereits schon so schön sagt, hatte das Image des metallischen Stahlrosses, welches sich mit möglichst energie-geladener verheizter Kohle seinen Weg durch Städte und Landschaften frisst. Gleichzeitig wurden die Arbeitenden dieses Industrie- und Wirtschaftszweigs rasch zu wichtigen Streitenden für sozialen Fortschritt. Einst ließ sich Alfried Krupp noch das nahtlose Eisenrad(1853) patentieren und schon einige Jahrzehnte später hatte die Eisenbahn die europäische Landschaft entscheidend verändert. Das heiße Eisen ließ auch die Kunstschaffenden nicht kalt. Im europäischen Jahr der Eisenbahn 2021 ist die Ausstellung „Voies de la modernité“ in Brüssel sicherlich ein Imagination-beförderndes Event. Vor 175 Jahren wurde die Strecke Paris-Brüssel eröffnet. Die größten Maler (ja fast alle Männer) haben sich diesem technischen Monstrum und seinen Auswirkungen gewidmet. Die Malenden visualiseren Faszination und Schrecken dieser gewaltigen Maschinen. Claude Monet ist mit 3 Bildern vom Gare Saint-Lazare (1877) in Paris vertreten. Auch Gustave Caillebotte, nicht als Mäzen und Sammler von u.a. Monet, sondern als Maler hat 2 sehr unterschiedliche Bilder zum Thema Eisenbahn geschaffen. Sein Gemälde „Paysage à la voie de chemin de fer“ von 1872 lässt den Betrachter von oben herab auf die Bahn und Schienen blicken, die schmerzlich eine Schneise durch die Landschaft schneiden. Das Brückengeländer sollte vielleicht noch den Fortschritt aufhalten. So viel größer ist doch die Natur, gesehen aus der erhöhten Perspektive. Die Fotografie vorwegnehmend wendet Caillebotte bereits die Konstellation, scharfer Vordergrund und Unschärfe im Hintergrund an (Bild 1). Was das Zeitalter der Eisenbahn noch bedeuten sollte, bleibt dabei schemenhaft. Es zeichnet sich der Wechsel des Narrativs vom „bedrohlichen Monstrum“ hin zur Koexistenz ab. In Monet’s Gare Saint Lazare (1877) steckt noch Gespenstiges in den Rauchschwaden der bewegten schwarzen Dampfmaschinen samt ihrer Reisenden (Bild 2). Caillebotte (1885) „Le Pont d’Argenteuil“ lässt sich die impressionistische Stimmung nicht durch die eiserne Brücke trüben. Er nutzt einer Kamera nachempfunden den Blick unter der Brücke durch auf die Schiffe, bei denen das dampfgetriebene Schaufelrad, die romantische Sicht des Schiffsbauers Caillebotte auf die Seine bei Argenteuil nicht sonderlich stört (Bild 3). Der Fußgänger auf der Brücke nahe dem Geländer nutzt die Brücke zum Überqueren der Zeitalter und sammelt Impressionen. In weiser Vorahnung lässt sich die Dominanz der Technik über die Natur ablesen, einschließlich des manchmal faszinierenden, geometrischen Formen- und Farbenspiels der Brückenbauten. Das Fortschrittsnarrativ verändert sich langsam durch soziale Bewegungen, wie die starke Gewerkschaftsbewegung unter den Eisenbahnern (in der Ausstellung durch Poster repräsentiert) und der Kriegs- und Deportationsnutzung von Zügen. Heute hat sich das Narrativ von dem einstigen Symbol der Beschleunigung, hin zu dem möglichen ökologieverträglichen Mittel der Entschleunigung, Nachtzug fahren statt Flugreise, gewandelt. Kunstschaffende öffnen uns die Augen und sind oft Vorreiter für sich verändernde Narrative. Benjamin Péret (1936) hatte seine Vision des Sieges der Natur viele Jahre vor der Realisierung seiner Imagination auf dem Berliner Südgelände in Schöneberg hinter dem ICE-Bahnhof Südkreuz. Eine gelungene Ausstellung in den Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique. Schade, dass die Bilder nicht selbst weiterreisen können, sondern wir noch zu ihnen reisen müssen. Die Besucherinfo in schwarz-weiß zur Ausstellung gibt es hier (F).