Experimente

Das Lese- und Studienbuch „Philosophische Gedankenexperimente“ erläutert aus geisteswissenschaftlicher und methodischer Sicht wie „Imagineering“ wissenschaftlich fruchtbar gemacht wurde und wird (siehe auch Baggini). Die Vorstellung der Methode „Gedankenexperimente“ (kurz GE) ermöglicht das systematische Verwenden des Ansatzes in anderen Lebensbereichen, beispielsweise in Therapie, Coaching und Evaluation. (Leseprobe). Eine aufschlussreiche, kritische Dissertation zum Thema von 2007 gibts auch schon von Tobias Klauk. Aber was ist ein philosophisches Gedankenexperiment? Georg Bertram postuliert dafür (1) eine philosophische Fragestellung, (2) die Konstruktion eines kontrafaktischen Szenarios und (3) Auswertung des Szenarios bezogen auf die Fragestellung (vgl. S.18). Der ökologisch wertvolle Charme des GEs besteht unter anderem darin, dass kein reales Experiment durchgeführt werden muss. Die Simulation von Szenarien in GEs durch Narrative (thick descriptions in der qualitativen Sozialforschung) und fiktionale Entwürfe in Literatur oder Film kann ressourcenschonend durchgespielt werden. Als Ergebnis des GEs lässt sich eine Widerlegung, Differenzierung, Vertiefung oder Bestätigung der Ausgangsfragestellung ableiten.
Wenig überzeugt hat mich im 1. Teil die Textpassagen „Zur Theorie philosophischer GE“ (S.27ff.), da die Theorie überwiegend darin besteht „eine kleine Typologie“ (S.35) zu erstellen. Vergleichbar der Farbentheorie von Goethe ist eine Sortierung von Farben nicht genug. von einer Theorie müssen Prozesse beschrieben werden können, die Erklärungen anbieten, warum uns rot als rot erscheint: Einerseits im Frequenzspektrum der aussendenen Quelle und/oder der empfangenden Netzhaut begründet, sowie der Materie dazwischen. Die Zuordnung in die Farbtypologie mit Rotschattierungen ist ein erster Schritt und hilft bestenfalls im alltaglichen Streiten über Farben. Also die 3 Formen der GE: erklärende Experimente, Experimente zur Änderung von Überzeugungen, und solche zur Schärfung und Innovation von Begriffen, bilden die Haupttypen (S.45). Typbeschreibend sind die Bedeutung fiktionalen Sprachgebrauchs, die Kreation eines narrativen Protyps, das mentale Modellieren, sowie die Auseinandersetzung mit dem kontrafaktischen Szenario (siehe Auszug 1 unten S.70-71). Als Zusammenfassung bietet Bertram (S.74 Auszug 2) 5 Schritte des GEs an, quasi als Anleitung zum Ausprobieren von Gedankenexperimenten.
Viel Spaß wünsche ich dabei. Im folgenden des Buches werden 44 GE-Beispiele vorgestellt, die vielen bekannt sein werden. Mich hat neben „Antigone“ (S.86), „Der natürliche Mensch“ (S.193) das Beispiel „Utopia“ (S.287) wegen direktem Bezug zu Imagineering inspiriert. Als etwas eingestaubt ist „Herr und Knecht“ (S.169) aufgefallen. Insgesamt ein toller Einstieg in eine der Methoden der „Imagination“ durch GEs.
Wer bis hierher durchgehalten hat wird mit „Gut-Gläubigen-GEs“ und „Feucht-Fröhlichem-Fest-Diner“ belohnt werden. GGGEs + FFFD hat Beethoven uns unvergesslich in seiner 5. Sinfonie in C-moll eingeprägt.

Beethovens GGGEs …
Bertram S.70-71
Bertram S. 74